September 2023


Process by process

Nach über 6 Wochen in Uganda habe nun auch ich das Motto „take it slow“ schon ziemlich gut übernommen. Manchmal wohl auch ein wenig zu gut meinen Mitfreiwilligen nach. Denn während für sie die „few minutes“, welche zu 3 Stunden wurden, oft ziemlich nervenaufreibend waren, so nutzte ich die Zeit für ein Mittagsschläfchen oder spielte zusammen mit den Kindern mit einer der vielen rumliegenden Plastikflaschen Fußball. Doch mittlerweile haben auch sie sich mehr oder weniger damit abgefunden und sind mit meinem kleinen Luganda- Sprachbuch schnell zufrieden zustellen.

Holiday program

Anders als erwartet, war ich meine ersten Wochen nicht von der Euphorie geblendet. Schnell sind mir die natürlich nur offensichtlichen Probleme in diesem Land aufgefallen. Meistens hat man schon nach wenigen Gesprächen die dahinterliegenden Strukturen verstanden, wodurch eine vermeintliche Lösung dafür deutlich komplexer wurde. Auch wenn es für Außenstehende oft kaltherzig wirkt, habe ich gelernt, Einzelschicksale nicht so an mich heranzulassen. Und ja, oft ist es hart, da du mit 10 Cent schon helfen könntest. Aber einerseits möchte ich die ohnehin schon bestehenden Bilder eines Muzungus nicht noch verstärken und andererseits kann ich weder dieser Person ein Jahr lang Essen bieten, noch kann ich entscheiden, wer jetzt welches bekommt und wer nicht. Kurzzeitige Besucher haben darauf jedoch eine andere Sichtweise. An den Studenten der OTH Regensburg, welche die ersten 4 Wochen ebenfalls an der IMLS für ihr Bachelorprojekt arbeiteten, ist mir dies aufgefallen. Für sie war von Anbeginn klar, dass sie nach 4 Wochen das Land wieder verlassen. Durch diesen kurzen begrenzten Zeitraum hatten sie somit kein Problem, den Menschen immer mal wieder etwas auszugeben. Ich möchte es Ihnen auch gar nicht vorwerfen. Sie haben es mit einer guten Intention gemacht und in gewisser Weise haben sie auch recht. Für sie waren die 10 Euro nicht viel, aber den Menschen haben sie sehr geholfen. Doch genau dadurch wird das bereits vorhandene Bild des reichen Muzungus in den Köpfen der Einheimischen verstärkt. „Muzungu“ ist Luganda und bedeutet wörtlich übersetzt  „Reisender“. Da Reisende vor allem früher meistens sehr reiche Personen waren und diese oft eine Weiße Hautfarbe besaßen, werden hier Weiße als Muzungu bezeichnet. Durch die Straßen zu gehen und beinahe Vergöttert zu werden allein deiner Hautfarbe wegen, hat sich die ersten Wochen sehr befremdlich angefühlt und ist einem noch immer unangenehm. Ich habe einige Wochen gebraucht, um zu verstehen, dass das Interesse an dir, wenn auch meistens, aber eben nicht immer etwas mit deinem vermeintlichen Reichtum zu tun hat. Vor allem kleinere Kinder sind meistens nur neugierig aufgrund deiner für sie fremden Hautfarbe. Es ist für sie etwas neues Unbekanntes, welches sie erkunden wollen. So wird mir fast täglich fasziniert über meine blauen Venen gestrichen, auf meinen Blutergüssen herumgedrückt oder meine Armhaare bewundert. Das die Menschen an der IMLS schon öfter mit Bazungus Kontakt hatten oder sogar schon in Deutschland waren, merkt man sehr stark an dem Umgang mit einem. Zwar ist es logisch, dass die Weißen immer bezahlen, wenn man ausgeht, aber man wird doch ein wenig mehr als eigenes Individuum betrachtet und gleichzeitig nicht als so etwas exotisches angesehen. Somit wurde man direkt in den Alltag inkludiert und durch den Wechsel der alten Freiwilligen zu den neuen, wurde man auch nie als wirklich neu angesehen. Oftmals gingen sie davon aus, dass ich wusste, wie gewisse Dinge ablaufen, was jedoch nicht der Fall war.  An meinem ersten richtigen Arbeitstag habe ich mit dem restlichen Musicdepartement, bestehend aus einem Mitte zwanzig Jährigen, welcher mich sehr an meinen Klavierlehrer erinnert, ein Meeting. Es wurde  das kommende Holidayprogram besprochen, welches seit 2 Tagen schon laufen sollte. 

So verbrachte ich also die ersten 4 Wochen damit, von 9 - 14 Uhr rund 60 Kinder zu bespaßen. Während der einzig wirklich vorhandene Mitarbeiter, John, glücklicherweise den Chor übernahm, musste ich am Morgen den „Bodypart- Blues“ singen und „Komm mit Lauf weg“ spielen. Die erste Wochen haben wir dann versucht die Instrumente ihnen näher zu bringen. Wo Musiktheorie und traditional Instruments gut liefen, scheiterte es dann an den Klavierstunden, welche in der Mainhall mit 20 Klavieren und unzähligen Kinder stattfanden. Glücklicherweise kam in der zweiten Woche ein weiterer Lehrer, welcher eine Gitarrengruppe von 10 Leuten übernahm. Da sich die Kinder im Alter zwischen 4 und 17 befanden, gestaltete sich ein Programm, welches alle Bedürfnisse abdeckte, als ein wenig schwierig. Doch schon nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass es weniger um das Erlernen eines Instrumentes ging oder das Erbringen gewisser Leistungen. Dies scheint wohl doch eher so ein deutsches Ding zu sein. Es ging darum, dass die Kinder von zuhause rauskamen. Sie hatten einen sicheren Rückzugsort, in dem sie einfach Kind sein durften. Es war ein Ort, bei dem es nicht jede Minute auf Disziplin und Gehorsamkeit ankam. Sie lernten, dass es auch Lehrer gibt, die bei falschen Verhalten nicht gleich mit dem Stock drohen und die nicht auf sie herabsehen. Sie konnten herum toben und sich ausprobieren und hatten Menschen um sich herum, die sich Zeit für sie nahmen und sie wertschätzen. Auch wenn das Programm offiziell 14 Uhr endete, blieben die meisten Kinder noch bis zum Sonnenuntergang an der Schule und traten dann den bis zu zweistündigen Heimweg an. Sie malten, spielten und sangen zusammen. Und das an einem Ort ohne Autos, Bodas, Lärm und Dreck…

Soziale Normen und Religion

 Ohnehin ist es gerade für alle nicht einfach, da die Music Department Leiterin selber keine Berührungspunkte zu Musik hat. So sagt sie einer Outreachschule mit 300 Schülern zu und versteht nicht, warum man mit 5 Lehrern den 300 Kindern nicht einzeln ein Instrument beibringen kann. Auch wird oft die Notwendigkeit „kleiner Dinge“ wie Saxophonblätter, Sticks oder Saiten nicht eingesehen und uns dadurch das Arbeiten ein wenig erschwert. Ein großer Teil trägt aber die immer noch stattfindende Umstrukturierung der IMLS dazu bei. Das Ziel ist, dass jede Ausbildung ein einzelnes Departement wird, mit eigenem Leiter. Da in den letzten 5 Monaten jedoch 4 Musiklehrer die Schule verlassen haben, gibt es nun kaum noch Lehrer und keinen Leiter. Dies hat jetzt eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung übergangsweise übernommen und es fanden die letzten Wochen einige Bewerbungsgespräche für neue Lehrer statt. Also wollen wir mal zuversichtlich sein und schauen, wie es sich in den nächsten Monaten entwickelt. Zum Glück haben wir noch John, ohne den die Musikschule nicht mehr laufen würde. Leider wird trotz seiner guten didaktischen, pädagogischen und musikalischen Leistung auf ihn herab gesehen, allein weil er aus ärmlichen Verhältnissen kommt. Dies kommt aus der hier herrschenden Zweiklassengesellschaft. Doch war die Intention der Schule nicht eigentlich, es diesen Menschen zu erleichtern…?

Ganz anders ist es hier allerdings mit dem Glauben. Während der Großteil der Bevölkerung, etwa 80%, katholisch ist, gibt es doch einige Muslime. Auch eine anglikanisch geprägte Glaubensrichtung namens „Born Again“ ist hier öfter aufzufinden, beispielsweise neben unserer Unterkunft. Bis auf laute Gospelgesänge zu jeglicher Uhrzeit habe ich leider noch nicht so viel mitbekommen. Einer meiner Schüler hält zweimal wöchentlich eine Art Gottesdienst in der Schule, in dem eine halbe Stunde lang gesungen und gebetet wird. Auch wenn er selber ein Born Again ist, sind Katholiken und Muslime immer willkommen. Sie nutzen diese Art Gottesdienst, um ihren Dank auszudrücken und Kraft aus den gemeinsamen Gesängen zu ziehen. Mein erster „richtiger“ Gottesdienst war dann aber bei einer unserer Performances, eine Silberhochzeit mit der IMLS Brassband. In Uganda ist es üblich, sich nach 25 Jahren erneut das „Ja- Wort“ zu geben. So saßen wir also mit rund 500 Menschen in einem 3,5 stündigen Gottesdienst und hörten eine einstündige Predigt auf Luganda. Natürlich waren neben dem Bischof noch 6 weitere Priester und 8 Pfarrer anwesend.

Musikprojekte und Konkurrenzdenken?

Doch nicht nur die IMLS ist ein musischer Treffpunkt für Kinder. Dies ist mir jedoch erst aufgefallen, als ich einen Freund zu Hause besuchte. Er wohnt in Nyendo, einem ziemlich armen Dorf bei Masaka (ob es sich um Dörfer oder Stadtteile handelt und ob es überhaupt kategorisiert wird, habe ich noch nicht herausgefunden). Er hat sich durch Kontakte in Kampala mit zwei Freunden ein paar Musikinstrumente angeschafft und sie versuchen nun zusammen diese zu lernen. Durch das Üben der Instrumente wurden die Kinder aus der Gegend angelockt. Naja, irgendwie hat es sich jetzt jedenfalls dazu entwickelt, dass die Kinder immer kommen, wenn sie Zeit haben und sich auf den Instrumenten ausprobieren. Als ich dort ankam, bemerkte ich, dass es noch viel größeres Chaos gibt, als an der IMLS. Nachdem ich eine Trompete reparierte und es mit dem Saxophon so gut wie möglich probierte, habe ich einige Kinder in Blockflöte und Melodika unterrichtet. Es war schön zu sehen, wie sich solche Projekte immer mehr zu verbreiten scheinen und wie glücklich die Mitte zwanzig jährigen Jungs mit ihren Instrumenten und Kindern zusammen waren, Am nächsten Tag bekam ich jedoch gleich einen Anruf von meinem Direktor und konnte daraufhin in zwei Gesprächen Rede und Antwort stehen. Woher er genau wusste, dass ich da war und was ihn daran genau jetzt so störte, weiß ich bis heute nicht.

Kurztrip nach Hawaii

Um der ganzen angespannten Stimmung ein wenig zu entfliehen, entschied ich mich mehr oder weniger durchdacht für einen Kurztrip mit den Studenten. Es sah eher so aus, dass ich nach dem Aufstehen mit meinem Kaffee auf der Terrasse saß und verwirrt feststellen musste, dass die Studenten mit Rucksäcken aufzubrechen schienen. Auf die Nachfrage, ob ich mitkommen wolle, habe ich nicht sonderlich viel überlegt, in meine Bauchtasche Geld und Handy gepackt und bin ins Auto gestiegen. Nach einer halben Stunde fahrt, erfuhr ich schließlich unser Ziel…Kalangala. Na gut also sollte es wohl auf die nahe gelegene Inselgruppe im Viktoriasee gehen. Nach einer knappen Stunde fahrt und einer wenig skurrilen Militärbegegnung haben wir die Fähre erreicht, welche planmäßig 11:30 Uhr abfahren sollte. Eine Stunde später, 12 Uhr, erfuhren wir jedoch, dass die Fähre erst abfährt, wenn genug Passagiere da wären. Als wir gegen 14:30 in See stachen, wurde uns allen bewusst, was Ugander unter „genug Passagiere“ verstanden. Als wir eine weitere halbe Stunde später auf der größten Insel ankam, war das Recycling- Schild das erste, welches mich zum staunen brachte. Doch dies blieb nicht lange nicht so. Ohne ein genaues Ziel fuhren wir auf der sowieso nur einen vorhandenen Straße und genossen das Freiheitsgefühl, welches uns durch den Van, welcher zwischen Affen, Papageien und  weitläufigen Ananasplantagen fuhr, vermittelt wurde. Ziemlich schnell wurde uns bewusst, dass den Rückweg noch am selben Tag anzutreten sehr unrealistisch war. Tatsächlich konnte ich mich mit meiner immer mitführenden Zahnbürste glücklich schätzen und war besser ausgestattet,als so manche Studenten, welche sich für diesen Fall alle einen Rucksack gepackt hatten. Wir fanden eine ziemlich schöne Villa am Ufer des Viktoriasees für 5€ die Nacht. Trotzdem bevorzugten Korbi, Max und ich das schlafen unter freiem Himmel und gingen das Risiko mit den Krokodilen ein. Die Nacht überstanden wir alle auch ohne Isomatte und Schlafsack ziemlich gut, doch mussten gegen 7 Uhr doch unseren Schlafplatz verlassen aufgrund stärkeren Regens. Leider haben unsere lieben Mitmenschen alle ihre Türen abgeschlossen und uns blieb nichts anderes als der Van. Morgens wurde sich nach dem Aufstehen noch kurz ein Frauenprojekt angeschaut, in dem weiblichen Menschen eine Arbeit angeboten wird und sie sich damit ein wenig aus der Abhängigkeit ihrer Männer lösen können. Und schon mussten wir wieder unsere Heimreise antreten, da wir alle Mittags wieder selbst an die Arbeit mussten… Dies sollte anscheinend nicht sein, denn wie so oft, versagte der Motor, als wir auf die Fähre herauffahren wollten. Also hieß es, alle anpacken und Van auf die Fähre schieben, welche nur wartete, da es sich um Bazungus handelte. Am Ende sind wir wie immer heile angekommen, aber mit den Autos ist das hier so eine Sache. Doch dazu später mehr… 

Schulbeginn

Nachdem wir unseren geliebten Holidaykinder mit einem Abschlusskonzert in die Schule entlassen haben, fing für uns das Outreach an. Naja, mehr oder weniger…meistens war der Bus nicht da und wenn er da war kaputt. Somit konnten wir uns die erste Woche gekonnt vor den unzähligen Schulkindern drücken. Ich war nicht sehr traurig darüber, da ich irgendwie nicht so ganz auf der Höhe war. Mir ging es dann ziemlich rasch immer schlechter und auf Empfehlung eines Schüler, welcher Mitte 30 und Arzt ist, bin ich ins Krankenhaus gefahren. Ich hatte gehofft, nach einer Stunde dieses mit einem negativen Malariatest wieder verlassen zu können. Doch leider läuft nicht immer alles wie gewünscht…Da meine Ansprechpartnerin es nicht für nötig hielt, mit mir zusammen ins Krankenhaus zu fahren, hat mich John begleitet. Darüber war ich auch ganz glücklich, da sein Luganda sehr half und die Krankenhausstruktur nicht so einfach zu durchschauen war. Johns Chorleiterkünste, welche die Station dazu brachten „Staying Alive“ zu singen, erleichterten die 4h Wartezeit ein wenig. Um 1 Uhr bin ich nach meiner wohl schlimmsten Boda Boda Fahrt dann endlich zuhause angekommen und habe erst einmal für 13h geschlafen. Wegen der festgestellten bakteriellen Infektion musste ich brav meine Medikamente nehmen und konnte nur bedingt etwas unternehmen. Stattdessen habe ich des öfteren Besuch bekommen und lernte Chapati, Samosa und Casava zuzubereiten. So endete mein September eher ruhig und unspektakulär. Aber man hat hier eben doch seinen eintönigen Alltag und keinen puren Abenteuerurlaub, wie so manche denken. Und ein wenig Routine tut auch ganz gut, wobei es sich jedoch immer noch um ugandische Routine hält…